3. Tag, 20. Mai 2024:
Da heute nur eine Nachmittagsrunde stattfand, lief der Vormittag etwas entspannter ab. Nach einem ruhigen, individuellen Frühstück versammelten sich alle im Foyer und es ging zur Sommerrodelbahn. Das ist jedes Jahr ein Highlight in Willingen und auch die Schachfreunde aus Schleswig-Holstein nutzten diese Anlage, die neben der Bahn noch einen Spielplatz und Trampoline zur Verfügung stellt. An dieser Stelle erinnern wir uns einmal zurück ins Jahr 2018, in dem sich Jaron Rumpold auf diesen Trampolinen den Daumen gebrochen hatte. Dieses Jahr kamen wir zum Glück ohne Verletzungen aus. Auf dem Rückweg gerieten wir leider in einen kleinen Regenschauer, der zwar schnell vorüberzog, aber ein schwüles Willingen hinter sich ließ.
Doch wir so haben die freie Zeit genutzt und viel frische Luft getankt. Nach dem Mittagessen wurde es aber wieder ernst.
Vor allem Malak hat, was die Eröffnungen der Gegnerinnen betrifft, ziemliches Lospech. Nach Damengambit gestern, absolvierte sie heute noch einen Crashkurs gegen Skandinavisch und Französisch. Letzteres kam auf’s Brett und Malak kam zunächst gut damit zurecht. Bis sie im 10. Zug rochierte, dabei aber übersah, dass eine gegnerische Dame auf b5 stand, die die Rochade verhinderte. Malaks Gegnerin, Elea Weyerer (SV Oberursel/ Hessen), reagierte korrekt, reklamierte den ungültigen Zug und bekam 2 Minuten mehr Zeit. Das eigentlich Schlimme an der Sache ist nur, dass die Rochade ein Königszug ist, wodurch Malak hier nach der “berührt-geführt”- Regel den König ziehen musste. Auf diese Weise sieht 10. Kd2 komisch aus und war mit Sicherheit nicht gut für den weiteren Verlauf der Partie. Und das trotz der bei allen zu spät eingetroffenen Brettpost von Sven und Familie Greither. Leider fehlten Malak am Ende genau diese zwei Tempi (Kd2 und Ke1 zurück) für die Verteidigung und nach einer weiteren falschen Entscheidung und Dameverlust verlor sie leider die Partie durch Aufgabe nach 28 Zügen.
Trotzdem kann sie insofern stolz auf sich sein, dass sie sich nach diesem technischen Fehler nicht unterkriegen lassen hat und zurück in die Partie fand. Es hätte auch am Ende eine Remis-Lösung gegeben, die allerdings sehr schwer zu sehen war. Also war es eine gute Partie, wir müssen nur diese Nervosität am Anfang noch irgendwie abtrainieren.
Auch bei Flora kam die Vorbereitung gegen Larissa Birkenheier (SVG Saarbrücken 1970) aufs Brett und noch während ich im Spielsaal die Partie verfolgte, kam der Berliner Trainer Olaf Sill auf mich zu, der schon bei unserer letzten Begegnung versuchte, Flora abzuwerben. Doch ich schlug ihm auch das Angebot, Flora UND mich nach Berlin zu holen, ab. Wenn er uns haben will, muss er wohl den nicht käuflichen Verein erwerben. Also wurden die Verhandlungen vorerst eingestellt. Trotzdem an dieser Stelle noch einmal liebe Grüße in die Hauptstadt.
Aber zurück zur Partie. Wie erwartet kam die “Schottisch” Variante gegen Sizilianisch von Flora und wie erwartet rochierten sie in die entgegengesetzten Richtungen. Dass Flora so etwas spielen kann, hatte sie in der ersten Runde schon einmal bewiesen, und auch dieses Mal war sie am Dameflügel schneller als die Gegnerin am Königsflügel, auch wenn es anfangs nicht danach aussah. Mit den Bauern zuerst und den Schwerfiguren dahinter, wie wir das gelernt haben, schaffte sie es, die gegnerische Königsstellung zu durchbrechen. Mit deutlicher taktischer Überlegenheit baute sie ihren Vorsprung immer weiter aus und holte sich am Ende diesen wichtigen und stark erkämpften Punkt, Matt mit neuer Dame nach 53 Zügen. Man merkte in der Analyse, dass ihr diese Partie großen Spaß gemacht hatte, und das gefundene dreizügige, wunderschöne Matt mit Dame, Turm und Läufer im Dreieck um den weißen König spricht schon auch für sich.
Besonders eröffnungstechnisch interessant war die Partie von Ali. Er überraschte mich mit der Frage, ob er nicht Königsgambit spielen dürfe. Eine recht seltene Eröffnung, die aber tödlich sein kann, wenn man nicht weiß, wie man dagegen spielt. Doch auch Ali war nervös. Trotzdem traute er sich und sollte damit die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Tatsächlich hatte ich schon eine Partie von seiner Gegnerin Viktoria Bräutigam (SV VHS Rendsburg/ Schleswig-Holstein) aus dem letzten Jahr gefunden, in der sie gegen diese Eröffnung verlor. Wie zu erwarten war spielte sie dieses Mal nicht genauso dagegen wir vor einem Jahr, doch so richtig schaffte sie es auch dieses Mal nicht, der Eröffnung so viel entgegenzusetzen. Also gewann Ali im 20. Zug einen Bauern und stand meiner bescheidenen Meinung nach wesentlich besser. Das Läuferpaar seiner Gegnerin war komplett eingesperrt, während seine Springer fröhlich in ihre Stellung hüpften und dabei von sämtlichen Schwerfiguren unterstützt wurden. Belohnt wurde er zunächst im 23. Zug mit einer Qualität und später auch mit einem Sieg in dieser Partie. Endlich der so lange ersehnte Punkt. Viktoria tat mir in der Analyse schon fast leid, denn sie hatte wirklich gar keine Chance, irgendetwas gegen Alis Angriff zu unternehmen. Ihre Figuren hatten kaum Felder und so verbrachte sie den Großteil der Partie damit, sinnlos Figuren hin und her zu schieben und auf Alis Angriff zu warten, der sogar im Matt endete. Entsprechend Spaß hatte auch er natürlich an der Partie und das gönne ich ihm nach dem holprigen Auftakt gestern auch von Herzen. Ohne Zweifel Alis stärkste Partie.
So wie Flora, darf man wohl auch ihn nicht angreifen lassen, denn dann sind beide unglaublich fantasievoll und sehr schwer zu stoppen.
Bei Julian ging es wieder gleich in der Eröffnung gegen Sadik Bugra Er (Leegebrucher SF) heiß her. Entgegen allen Erwartungen erhielt er 1. e4 und nicht Damengambit. So spielte er die Najdorf-Variante, wofür ihn Tatjana Melamed sehr kritisierte: „Warum spielt er nicht e5, wie wir das im Training gemacht haben, er steht Scheiße“. Ich wollte sagen: „Weil er ein eigenständiger Mensch ist, und wenn er für sich entscheidet, dass er lieber Sizilianisch spielen möchte, dann soll er auch, wenn er sich damit besser fühlt”, doch leider musste ich auch zugeben, dass sie Recht hatte. Julian kam vor lauter Drohungen gar nicht zum Entwickeln und verlor schon im 10. Zug eine Leichtfigur. Das war zu viel, und sein Gegner nutzte die schlechte Stellung gnadenlos aus. Julian gan schließlich nach 32 Zügen auf.
So viel Spaß, wie Flora und Ali auch hatten, so wenig hatte Julian. Hoffentlich baut ihn das Abendessen auf, und er kann morgen so stark weiterspielen, wie er gestern angefangen hat.
Morgen ist nach der Vormittagsrunde um 9 der obligatorische Ausflug zur Schanze geplant. Wir hoffen, dass das Wetter mitspielt.