Deutsche Einzelmeisterschaft in Willingen 2024 (25.5.)

5. Tag, 22. Mai 2024

An diesem Doppelrundentag lag die Spannung schon beim Frühstück in der Luft. Flora, wie immer sehr aufgeregt, durfte heute den Vereinsteddybären (s. Bild) mit ans Brett nehmen, für den Turm sind die Tische leider zu klein. ‘Möge er Glück bringen und beruhigen’, dachte ich. Sie war vor allem aufgeregt, weil sie sich mit der Eröffnung so unsicher war. Ihre Gegnerin immerhin Lara Tischlinger (SK Weisse Dame Hamburg). Nachdem ich ihr in der Vorbereitung Alapin gezeigt hatte (1. e4 c5, 2. c3, mit einigen Varianten) beschlossen wir, dass alle möglichen Fortsetzungen keine Stellung auf das Brett brächten, die Flora gefiele. Also 1. … e5, ein Zug, der Flora sehr missfällt, doch keine Zeit für Neues, da musste sie durch. Wie vorbereitet kam also schottisch (1. e4 e5, 2. Sf3 Sc6, 3. d4 exd4). Sie entschied sich gegen die Theorie, die wir uns vorher angeschaut hatten und spielte 4. … d6 statt Lc5. Ein eher waghalsiges Unterfangen, da es den Läufer auf f8 einsperrt, doch durchaus spielbar. Aber im Laufe der Zeit rutschte sie immer weiter ins Minus. Besonders der entstandene Doppelbauer c6, c7 bereitete ihr immer mehr Probleme und bei dem verzweifelten Versuch, ihn zu retten, nahm ihre Gegnerin Floras Stellung immer mehr ein. Nach 18. La6 verlor sie c7 und musste nun mit Minderbauer und -2,5 zurechtkommen. Nur vier Züge später fiel auch der zweiter Bauer und Flora hatte dabei noch Glück, dass es nicht sogar eine Leichtfigur war, als sie dann aber im 23. Zug auch noch einen Spieß übersah. Nach Computer war es hier schon vorbei, doch plötzlich zauberte Flora eine Drohung nach der anderen auf das Brett und schaffte es schließlich, eine Dame gegen zwei Türme zu tauschen. Und Flora kann gut mit Dame! Dieser Tausch war wohl nicht gut für Weiß. Und ihre Gegnerin schien das so zu verwirren, dass sie ungenau spielte und Flora das umsetzen konnte, was sie aus ihrer gestrigen Remispartie gelernt hatte (so etwas macht einen als Trainer natürlich stolz). Plötzlich stand ihre Dame neben dem Freibauern auf der zweiten Reihe und +3,5 auf dem Computer.

Flora

Flora

Was für ein Spiel! Flora behielt die Kontrolle und zwang ihre Gegnerin, auch noch einen ihrer Türme für den Bauern zu geben. Mit weiterhin starken Zügen (z. B. 52. … Se3!) trieb Flora ihre Gegnerin immer weiter in ein nicht mehr zu haltendes Endspiel. Sogar bis zum Matt im 71. Zug kam es. Sehr stark und im richtigen Moment die Bedenkzeit genutzt.

Sogar Matt im 71. Zug, nach ca. 4 Stunden! Sehr starke Partie! Flora jetzt 7. Tabelle! einrahmen!

Das Spiel von Malak gegen Sara Alnajjar (SC Caissa Falkensee/ Brandenburg) gestaltete sich sehr wechselhaft. Nach der Eröffnung schaffte sie es, ihre Figuren für einen Angriff des gegnerischen Königs zu positionieren, verpasste aber mehrmals den Punkt, an dem sie das hätte ausnutzen können. Ich mochte ihre aggressivere und auch langsamere Spielweise sehr, doch dann ließ sie zu viel zu, für einen Angriff, der durch viele Figurentausche ungefährlich geworden war. Glücklicherweise konnte auch die Gegnerin das nicht ausnutzen. Also stand es wieder ausgeglichen. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, doch nach 4 Minuten überlegen über 30. Tf5 übersah Malak einfach das einzügige Matt 30. … Dg1#. So etwas darf bei einer deutschen Meisterschaft in der u12w natürlich nicht passieren. Wieder war es möglich, zu gewinnen, diesmal sogar mit einer guten Zeiteinteilung, doch wieder hat es am Ende nicht gereicht. Ich denke, sie braucht dringend ein Erfolgserlebnis.

Entgegen unserer Pläne aus der Vorbereitung, Ali sollte Damengambit (1. d4 d5, 2. c4) spielen, entschied er sich nach 1. … Sf6 seines fünf Jahre jüngeren Gegners, Atticus Nguyen Trung (SK Germering/ Bayern), für das Londoner System (1. d4, 2. Lc4, 3. e3 usw.). Wieder eine Überraschung für mich und sicherlich auch für den wahrscheinlich nicht sehr erfahrenen Atticus. Leider spielte Ali im 6. Zug ungenau und schlug mit seinem Bauern den vorgeschobenen seines Gegners auf c5. Damit gab er die komplette Kontrolle über das Zentrum ab, was ihn in seinem späteren Angriff stark behinderte. Nach dem Abtausch seines Läufers gegen einen müden schwarzen Springer auf g6 hatte Ali nicht nur kein Zentrum, sondern auch eine sehr schlechte, zurückgedrängte Stellung. Nach Damen- und Leichtfigurentausch entstand ein kompliziertes Endspiel mit je zwei Türmen, einem Springer (Ali), einem Läufer (Atticus) und je 7 Bauern. Doch beide schoben die Stellung nur weiter zusammen, sodass am Ende kein Durchkommen war. Remis.

Delegationsfoto Sachsen-Anhalt

Delegationsfoto Sachsen-Anhalt

Bei Julians Partie gegen Aleksandrs Fize (Hagener SV/ Niedersachsen) gab es einige Übertragungsfehler. Es wurden die ersten 6 Züge gezeigt, dann zwei Stunden gar nichts Neues und dann gleich der Rest der Partie. Wir schafften es auch nicht vor der Nachmittagsrunde, sie auszuwerten, da 14:00 Uhr noch das Delegationsfoto anstand. Trotzdem ein paar Worte dazu. Es war wieder ein gewöhnungsbedürftiges Eröffnungsbild. 1. d4 d5, 2. Sc3 Sf6, 3. Lf4 e6, 4. Sb5 Ld6. Damit bekam Julian direkt einen Doppelbauern auf d6, d5. und es entbrannte ein Kampf um das Zentrum, den Julian aber gewann. Mit 21. Txe5 ging er mit Mehrbauer in das Endspiel und tauscht geschickt alle Figuren außer zwei Türmen ab. Doch dieses Mal reichte es, trotz Mehrbauer, leider nicht zum Sieg. Am Ende war es Remis und das ist trotzdem ein respektables Ergebnis.

Eine schnelle Vorbereitung musste reichen, denn schon wenig später begann die zweite Runde des Tages.

Flora bekam mit Veda Ramakrishnan vom FC Bayern München gleich den nächsten Brocken. Sie durfte ihre Lieblingseröffnung spielen und stand dementsprechend im 16. Zug mit 1,0 im Plus. Doch wieder spielte sie zu schnell (7 Minuten für 20 Züge) und schon war der Vorsprung wieder dahin. Bis zum 23. Zug stand es nun ausgeglichen und das schien Flora zu langweilig zu werden, denn mit 24. e4 öffnete sie die Stellung und gab vor allem den gegnerischen Springern Angriffsfelder. Wahrscheinlich ein kleiner, aber dennoch entscheidender Fehler. Denn nun ging auf einmal alles sehr schnell. Das Minus sank mit jedem Zug und noch bevor sie am Ende durch einen übersehenen Abzug die Dame verloren hätte, gab Flora im 28. Zug auf. Es konnte ja nicht immer so weitergehen.

Es wäre umgekehrt schön, wenn man das auch bei Malak sagen könnte, aber auch dieses Mal, gegen Ailis Haidekker (SG PST-Trier / Bernkastel-Kues – Rheinland-Pfalz) hat es nicht für einen Punkt gereicht. Hier kam der Fehler schon im 6. Zug, obwohl sie gegen ihre eigene Eröffnung spielte. Im 9. Zug verlor sie direkt eine Leichtfigur und seitdem ging gar nichts mehr. Aufgabe im 31. Zug.

Julian hatte mit weiß gegen Rudi Oblender (SF Wilstermarsch & Itzehoe von 2014/ Schleswig-Holstein) zu kämpfen. Schon im 7. Zug wurde Julian einfach ein Bauer geschenkt und es wurde sehr schnell alles abgetauscht. Dabei gewann Julian jedoch noch einen weiteren Bauern (durch die schlechte Struktur seines Gegners) und kam in das Endspiel mit vier Bauern, Springer und Turm gegen zwei Bauern, Läufer und Turm. Doch die beiden Mehrbauern waren Freibauern und das hat er ausgenutzt. Rudi musste seinen Läufer geben, und man sollte meinen, dass das Endspiel mit Springer und Freibauer mehr für Julian gewonnen sein sollte, doch wieder war das Glück gegen ihn. Ein paar zu schnelle Züge, um einen Zug verrechnet und übrig blieben: Zwei weiße Randbauern. Unglücklicherweise befand sich der schwarze König schon in der richtigen Ecke und dagegen helfen nicht mal zwei Bauern mehr, das ist Remis. Wieder unglücklich, aber fairerweise selbstverschuldet. Wir einigten uns, dass es morgen wieder ein ganzer Punkt wird.

Mit vier Stunden am längsten gespielt hat Ali gegen Ben Weidenhöfer (SV Werder Bremen). Hier muss ich zugeben, dass ich selbst bei der Vorbereitung ein bisschen dumm geguckt habe, denn das, was Ben da mit Weiß spielte habe ich noch nie gesehen. 1. d4 d5, 2. Lg5. Recherchen haben ergeben, dass sich das Ganze “Levitsky-Angriff” nennt. Der frühe Läufer soll den Schwarzen durch die frühe Fesselung des e- Bauern an der Entwicklung hindern. Doch was das betrifft, war ich sehr skeptisch, denn mit 2. … f6 oder h6 ist der Läufer leicht zu vertreiben und der “Entwicklungsvorsprung” ist aufgehoben. Also kein Grund zur Sorge. Ali spielte Königsindisch, der Aufbau lief gut, bis er im 7. Zug mit Sb4 zu gierig wurde. Die gegnerische Dame gab Schach, griff gleichzeitig den Springer an, der musste dazwischen ziehen und sich anschließend gegen den Bauern auf d5 geschlagen geben. Ein so früher Leichtfigurenverlust hätte auch hier entscheidend sein müssen, aber Ali kämpfte bis zum bitteren Ende, erhielt zwei Bauern als Kompensation und hielt stark gegen die vereinzelten und schlecht positionierten weißen Figuren. Es ergab sich ein Endspiel mit je einem Turm, vier Bauern (Ali – davon je zwei verbunden und ein Freibauernpaar) und einem Springer (Ben), den Ali aber geschickt auf b1 fesselte und so sehr viel Zeit hatte, seine Freibauern nach vorne zu bewegen. Und wieder einmal hat sich gezeigt, wie stark Bauern doch sein können. Sein Gegner musste den Springer geben, bekam dafür nicht mal einen der Bauern und gab wenig später auf. Die letzte Partie der Runde in der ODEM u25B an diesem Tag. Besonders nach diesem langen Tag ein sehr starkes Spiel von Ali, der noch am selben Abend 20:00 Uhr zur Analyse kam. Sehr vorbildlich.

Morgen findet wieder nur eine Runde am Nachmittag und ein Trainerwechsel statt. Möge es auf den letzten Metern noch einmal Glück bringen.